Montag, 25. Mai 2015

„Der Bedarf nach Output war bei der Chlyklass wieder vorhanden“


Baldy Minder ist ein Urgestein und einer der prägendsten Kulturmanager in der Schweiz. Als langjähriger Manager der Chlyklass (Wurzel 5, Baze, Greis, PVP) und als Labelchef, Konzert – oder Partyveranstalter hat er seine Fuss-Abdrücke hinterlassen. Das ist neue Chlyklass-Album „Wieso immer mir?“ ist auf Platz 1 gegangen und derzeit sind die Giele auf Tour. Im Interview spricht Baldy Minder über die Anfänge der HipHop-Szene in Bern, eine gemietete Villa und über die Zukunft von Platten-Labels in der Schweiz.

Wortmaler: Du warst ein Gründungsmitglied von Wurzel 5 – was hast für Erinnerungen an diese Zeit?

Baldy: Am Anfang waren wir zu dritt. Serej hat mich 1996 gefragt, ob ich der DJ der Gruppe sein wollte. Sie waren von Anfang an sehr talentiert – ich weniger. Da haben wir recht schnell die Erkenntnis gehabt, dass es besser ist, wenn ich mehr das Organisatorische übernehme. Wir haben dann DJ Link mit in’s Boot geholt. Eigentlich haben wir ihn einer anderen Band abgeluchst. Tiersch kam dann auch noch dazu. Ich persönlich musste mich in der Anfangsphase noch etwas finden. Ich stand dann ab und zu noch auf der Bühne und die Leute fragten sich „was macht der überhaupt“ oder „wer ist das“. Am liebsten hätte ich auch auf der Bühne gerockt, so wie die anderen. Mit der Zeit hat sich dann aber ergeben, dass die Leute gewusst haben, dass ich eben die Bookings und die Promo-Arbeiten etc. gemacht habe. Die Situation hat sich nachher, auch für mich selber, beruhigt. Er herrschte Aufbruchstimmung damals. Es war die erste Phase von Berner Rap, der auch über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt wurde.

Wortmaler: Das war so die Beetown-Zeit.

Baldy: Genau. Beetown kam raus und Hobbitz waren die ersten aus unserer Generation die ein Album realisiert haben.  Sie waren auch die ersten die dann eine Homepage hatten. Wir hatten da argwöhnisch rübergeschaut und sie waren uns manchmal einen Schritt voraus. HipHop ist ja auch Competition. In Bern waren wir immer sehr kompetitiv. Mit der Chlyklass und auch intern. Das war dann auch ein bisschen das Geheimnis von unserem Erfolg.

Wortmaler: Wie ist damals d‘Chlyklass entstanden? Wie ging der Zusammenschluss der einzelnen Crews vonstatten?

Baldy: PVP waren parallel zu uns bereits aktiv. Man hat sich gekannt. Auch zum Beispiel vom Sprayen her. Er war ein Konkurrenz-Ding aber im Prinzip haben wir gewusst, dass sie genau wie wir ticken. Sie haben uns nachher an Board geholt für den Rapresent-Sampler, an dem alle Berner beteiligt waren. Wir hatten mit Wurzel 5 ein Studio an der Aarbergergasse 33. Auch Baze war damals bereits am rappen, er kam ja auch aus dem gleichen Quartier. Das waren alles sehr talentierte Leute, da haben wir das Ganze konsolidiert und alle in unser Studio geholt. Der nächste Schritt war dann auch live zusammen zu performen. Ein erster externer Auftritt, unter dem Namen „die goldenen 15“, hatten wir dann in Liestal. Kurz darauf haben wir den Crew-Namen in Chlyklass abgeändert. PVP releasten dann die „Aesche zu Stoub“ – EP, Wurzel 5 die „„Schii$tracks“ und Baze, damals noch mit Thomes, „Amoklouf“. Das erste Chlyklass-Album „Ke Summer“ erschien dann vor 10 Jahren im 2005.

Wortmaler: Aktuell ist das neue Chlyklass-Album „Wieso immer mir“ erschienen. Wer hat den Stein in’s Rollen gebracht?

Baldy: Poul Prügu und ich. Es lag allgemein in der Luft wieder was zusammen zu releasen. PVP wollte auch ein neues Album machen. Aus dieser Stimmung heraus reifte das Ganze dann. Ich spürte dann, das die Zeit gut war um wieder sowas zu realisieren. Bei den Wurzel-Jungs sind die Kids nun bereits etwas älter, so dass man auch wieder mal ein Wochenende raus kann. Der Bedarf nach Output war wieder vorhanden. Das war aber ein langer Weg. Der erste Schritt war ein Meeting wo wir erste Ideen thematisierten. Zu Beginn hatten wir gegen 300 Beats und haben diese dann stückweise selektioniert. Beim ersten Album hatten wir bei Poul Prügu in einem Haus in Frankreich ein Intensiv-Weekend gemacht. So etwas wollte ich wieder realisieren und wir haben dann im September 2014 eine Villa in Dornach gemietet. Die Villa war in einem Wohnquartier – schon am ersten Abend stand die Polizei vor der Türe. Ein Photo landete dann prompt auf Social Media und dann kamen die auch noch Autogramme abholen. Eine Anzeige hat es aber trotzdem gegeben. An diesem Wochende konnten wir dann aber alles konkretisieren und weitere Ideen sammeln. 3 Wochen später sollten alle ihre Takes geschrieben haben. Hat aber keiner gemacht. Baze, der Anfang Dezember für 3 Wochen nach Südafrika ging, hat dann mit Phantwo als erster aufgenommen und die Messlatte gesetzt. Und zwar hoch! Wir wollten urspünglich den Bandraum früher abgeben, haben dann aber schlussendlich bis Februar dort aufgenommen.
 
Wortmaler: Was war im Entstehungs-Prozess die grösste Herausforderung für dich?
Baldy: In der ersten Phase sicher zu stellen, dass aus diesen vielen Fragmenten und Ideen zeitgerecht richtige Songs wurden. In der zweiten Phase bin ich dann etwas gescheitert: Ich wollte die Videoclips früher haben, als dies dann effektiv gelungen ist. Ich habe einige Videoleute Mitte Februar angefragt aber bis Mitte März hatten wir dann eigentlich nichts. Wir wollten schon was vorher rausdroppen. Der erste Clip kam dann 2 Wochen vor dem Release. Im Nachhinein gesehen ist aber alles super aufgegangen. Via Social Media haben wir das Relasedatum bekanntgegeben und uns Inputs bezüglich dem Albumtitel abgeholt. Da hat das Ganze eine gewisse Dynamik entwickelt. „Bruchteil“ haben wir 3 Wochen vor dem Release veröffentlicht und dann kam jede Woche ein Track inkl. Video. Aber wie gesagt, aus jetziger Sicht, ist alles gut gelaufen.

Wortmaler: Das Album ging auf Platz 1 bei den Albumcharts. Die Anerkennung der Szene hattet ihr zwar schon lange, ist dies aber nun trotzdem wie ein Ritterschlag nach so vielen Jahren im Business?

Baldy: Ja, auf eine Art und Weise schon. Wenn du mal in diesen Bereich der „Hitparade“ kommst, beginnst du schon mehr darauf zu schauen, ob es nun Platz 15 oder Platz 3 wird. Andere Acts auf einer anderen Ebene haben eine Höllenfreude wenn sie in die Top 100 kommen. Auch daran sieht man das. Ab Wurzel 5 „Teamgeist“ sind wir mit allen unseren Tonträgern in die Top 10 gekommen. Wenn in dieser Woche nicht gerade Michael Jackson gestorben wäre, wären wir auf Platz 2 gelandet. Greis war auf der Sechs und PVP auf der Vier und auch Baze stieg vorne ein! Wir waren immer so haarscharf daran und weit vorne klassiert. Wir alle finden es sehr schön, dass wir nun mit einem Crew-Album auf Platz 1 gehen konnten. Als hätten wir es gewusst, haben wir im Booklet ja ein Artwork, wo wir auf der Eins stehen. Jetzt haben wir es gemeinsam erreicht. Wir konnten es auch ein bisschen abschätzen, wenn man schaut was sonst noch releast wird. Mumford & Sons kann noch raus, die haben aber mehr die ganze Schweiz und wir eher nur die Deutschschweiz. Die haben viel Marketing gemacht. Wie in der Fussballmeisterschaft, habe ich uns auf der Zwei gesehen. Das wir es auf die Eins geschafft haben, ist Weltklasse. Wir merken auch, dass sich die Leute mit uns freuen. 



Wortmaler: Chlyklass stand auch immer für starke Charaktere mit Ecken und Kanten. Ist das für deine Tätigkeit eher Fluch oder eher Segen?

Baldy: Es ist genau beides. Ich kann mich nicht auf eines festlegen, die Bandbreite dazwischen ist zu gross. Teils ist es ein Fluch und es gibt Sachen, genau aus dem gleichen Grund, die dann eben auch Segen sind. Für mich persönlich ist es teilweise sehr anstrengend mit diesen Charakteren, wir haben auch noch eine Basis-Demokratie. Da wird knallhart abgestimmt und sehr lange diskutiert. Es ist effektiv beides.

Wortmaler: Du bist ein Veteran im Musikgeschäft. Wie hat sich das Ganze im Bereich Booking&Management im Laufe der Zeit entwickelt?

Baldy: Das Booking ist immer schwieriger geworden. Es hat viel mehr Exponenten die sich versuchen ein Stück vom Kuchen zu holen. Teilweise habe ich mit Künstlern, die vom Namen her eigentlich etabliert waren, einen grossen Aufwand betrieben und dann trotzdem noch drauf gelegt. Das Publikum ist teilweise auch verwöhnt. Zudem hat jede Stadt, in Bezug auf Rap, ihre eigene und funktionierende Community mit ihren lokalen Acts, die sie feiern. Wenn man jemand externes am Aufbauen ist, braucht es dann schon viel, bis sie den Act dann vielleicht cool finden. Bei etablierten Acts wie jetzt zum Beispiel d’Chlyklass war es aber nicht so schwierig eine ansehnliche Tour zu realisieren. Vielleicht muss du Beteiligungsdeals machen um das Risiko zu verteilen, vorallem in der Phase vom Aktiv-Booking, wo du auf die Veranstalter zugehst. Es sind ja zwei paar Schuhe: Ich bin eine Tour am planen und gehe auf die Veranstalter zu. Dann bin ich der Bittsteller. Es ist natürlich dann eine andere Situation, wenn du später auf die Eins gehst und du angefragt wirst. Ich bin nicht der Typ, der exorbitante Gagen verlangt und der Veranstalter wird anschliessend gefickt. Ich arbeite lieber gemeinsam mit Ihnen. Das bringt längerfristig viel mehr. Im Bezug auf Management ist es auch schwieriger geworden. Du hast zwar die neuen Medien, aber du musst etwas sehr Spezielles haben, damit du es gut promoten kannst. Ich habe eine Zeit lang den Fehler gemacht, dass ich durchschnittliche Sachen promotet habe. Da habe ich wie meinen Namen verschlechtert. Jetzt mache ich nur noch Sachen, wo ich voll dahinter stehen kann. Wichtig ist, dass die Leute nun darauf vertrauen können „das ist von Baldy Minder und es ist cool“. 

Wortmaler: Wie siehst du die Zukunft von Platten-Labels und Vertrieben in der Schweiz?

Baldy: Die müssen mit der Zeit gehen. Wenn sie das machen, haben sie eine Chance. Die Zusammenarbeit mit den Künstlern muss man eben anpassen. Das 360 Grad – Betreuungsding ist eine Möglichkeit, wo man versucht ganz mit dem Künstler zu arbeiten. Dass man ihn aber auch in das Risiko miteinbezieht, aber auch dann bei Gewinn grosszügig auszahlt. Die Produktionskosten werden so gesehen aufgeteilt. Für Labels ist es schwierig dies zu stemmen, vorallem bei Künstlern die neu releasen. Es kostet meistens zwischen 15k und 25k CHF wenn du 1500 CD’s herstellen willst und noch promoten musst. Du kannst als Künstler nicht mehr den Anspruch haben, dass dies das Label übernimmt. Und das Label kann nicht mehr den Anspruch haben, dass es dann den Künstlern nur noch 15% oder 20% Beteiligung auszahlt. Da muss man einen gemeinschaftlichen Weg finden. Für gewisse Acts verstehe ich es auch, wenn sie gar keine physischen Tonträger mehr machen. Wenn man es clever macht, kann man generell schon noch was verdienen.

Wortmaler: Was für Musik hörst du aktuell privat?
Baldy: Querbeet. Ich höre alles was nicht Populärmusik ist. Ich habe wie eine Schranke, die runter geht wenn es zu kommerziell wird. Reggae wie Max Romeo ist toll. ASAP Rocky und Kendrick Lamar auch. Stromae fand ich auch gut. Bei ihm hatte ich auch dieses „kommerzielle Problem“ nicht. Seine Musik ist einfach nicht anbiedernd und geht wie unter Kunst. Eminem fand ich am Anfang super und als es dann breit wurde, war es bei mir einfach vorbei. Auch zum Beispiel Grateful Dead höre ich gerne, wie gesagt querbeet. Wenn ich zuhause Musik höre dann auch gerne TripHop oder Easy Listening-Sachen. Auch auf Vinyl. Bei mir Zuhause stehen noch um die 900 Platten rum. Aber jetzt in den vergangenen 2 Monaten habe ich eigentlich nur Chlyklass gehört. Das ist bei mir normal in der Entstehungsphase. Wenn es dann releast ist, höre ich es nicht mehr. Sobald es dann in die Oeffentlichkeit geht, ist der Prozess für mich abgeschlossen.

Und zum Schluss noch dies…

Stéphane Chapuisat oder Thomas Häberli?
Oh Mann. Stéphane Chapuisat. Chapuisat habe ich schon verfolgt, als er noch nicht bei YB war. Wegen ihm bin ich auch Dortmund-Fan geworden. Häberli ist was ganz anderes – mehr eine Herzensangelegenheit.

Barcelona oder Juventus
Dortmund. Das ist halt auch sowas. Früher hätte ich voll Barcelona gesagt, aber jetzt ist das so voll übergehyped. Darum eher Juve, auch wenn ich den italienschen Fussball nicht so mag.

Biggie oder 2Pac?
Biggie

Black Tiger oder EKR?
EKR. Sorry Urs ;-)

Patent Ochsner oder Züri West
Baldy: Züri West. Obwohl auch Patent Ochsner sehr gute Songs haben. Sie sind sehr pathetisch und können dich gut einwickeln. Ich habe mir aber beide nicht wirklich angehört.


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