Ugur Gültekin ist Moderator und Produzent bei Joiz. Und ex-Rapper. Im
Interview spricht er über seine Sendung, über die Schweizer HipHop-Szene und seine
politische Einstellung.
Wortmaler: Wir kennen dich als charismatischen Host von „Joiz in the Hood“. Wie ist die
Sendung und das Konzept damals entstanden?
Ugur: Ich bin vor 4 Jahren zu Joiz gestossen, nachdem ich 2 Jahre bei
MTV gearbeitet hatte. Ich begann als Online-Redaktionsleiter und schrieb immer
wieder Sachen über Rap und HipHop mit Fokus auf die Schweizer Szene. Das gab
allgemein eine gute Resonanz und auch viele Klicks. Dann kam die Idee das Ganze
weiter auszubauen. Ein Blog oder eine Sendung zum Beispiel. Dann hiess es „mach mal einen
Pilot“. Haben wir
gemacht, das Format war aber noch ganz anders. Es war eine 30-minütige Sendung die
nicht live war. Eine Art Magazin. Dann kam die Kritik, es sei zu HipHop, zu
szenenspezifisch und auch zu stark an bereits bekannte, frühere HipHop-Sendungen
angelehnt. Es sollte also weniger nerdig und offener gestaltet werden, was ich
dann umgesetzt habe. Der Name „Joiz in the Hood“ mit der Anspielung
auf den Movie „Boyz n the Hood“ blieb bestehen. Die
Aufmachung, das Set mit der Sitzbank und die Rubriken habe ich dann ebenfalls
angepasst. „Joiz in the Hood“ ist mein Baby.
Begleitet durch den ganzen Prozess hat mich die damalige Programmleiterin Elif
Erisik, die mir viele Freiräume gewährte und der ich für ihre Unterstützung sehr dankbar
bin.
Wortmaler: Pro Woche wird eine Folge à 60 Minuten
ausgestrahlt. Wieviel Arbeit steckt effektiv dahinter?
Ugur: Als wir starteten war ich erstmal 2 Monate voll beschäftigt. Konzepte
schreiben und Rubriken vorproduzieren, das Set organisieren und viele weitere
Dinge. Zu 95% ist das Endprodukt, was du in der Sendung siehst, von mir.
Inzwischen beläuft sich der Aufwand auf ca. 20 Stunden pro Woche. Nimmt aber immer
mehr ab, weil ja auch immer mehr Routine reinkommt. Wenn Schweizer Rapper zu
Gast sind, möchte ich auch nicht zu tief in eine Thematik verfallen. Soll nicht
negativ klingen, aber es soll auch ein bisschen ein oberflächliches Magazin
sein. Wichtig ist „Wer bist du“, „Was machst du“ und „Was hast gerade für einen Release“. Ziel ist der
grossen Masse diesen Künstler und diese Kultur näherzubringen. Wir haben ja bei
Joiz noch andere Sendungen und Rubriken, wo wir dann längere Interviews
realisieren. Da haben wir den Anspruch qualitativ hochstehende Interviews zu
machen. Ich arbeite im Moment noch 100% bei Joiz. Für „Joiz in the Hood“ gehen derzeit ca.
50% drauf inklusive Medienpartnerschaften, Anlässe und Marketing.
Sonst leite ich andere Sendungen wie zum Beispiel ein- bis zweimal pro Woche „Living Room“ oder die Sendung „Homerun“. So gestaltet sich
in etwa meine Tätigkeit bei Joiz.
Wortmaler: In welcher Folge oder mit welchen Gästen hattest du am
meisten Spass?
Ugur: Ich habe immer Spass wenn es auch Ernst wird und in die Tiefe
geht. Wenn ich das Ganze durch meine Fragen und mein Setting mitgestalten kann.
Die kreative und künstlerische Komponente ist mir wichtig. Zeitunglesen mit Kool Savas
und Samy Deluxe war grossartig. Geil war auch als ich Dilated Peoples Schweizer
Rap vorgespielt habe und sie haben es bewertet. Sonst ist mir noch die Sendung
mit Tommy Vercetti und Dezmond Dez präsent, als sich
Knackeboul reingeskypt hat. Da konnte man wirklich fühlen, dass sie sich
nicht mögen. Es war nicht unbedingt was persönliches, sie hatten
einfach verschiedene Ansichten wie man als Künstler mit der
Kunst umgehen sollte. Ich habe begrüsst, dass diese
Diskussion angezettelt wurde. Da war Feuer in der Sendung. Was ich eher
langweilig finde ist, wenn jemand ausschliesslich nur so diese Promo-Schiene
abwickelt. Das kommt aber natürlich vor und ist wie
gesagt auch Teil vom Konzept. Die längeren Ausseninterviews
von EKR und Skor waren auch grossartig. Da kam das Feedback so „wow, ich habe den
noch nie so gesehen“ und ich konnte Facetten aufzeigen, die dem einen
oder anderen neu waren. Mir ist auch wichtig, dass die Aesthetik dann schön ist. Dass der
Beitrag auch optisch gut produziert ist.
Wortmaler: Was kannst du generell nach 73 Folgen für ein Fazit ziehen?
Ugur: Ich bin bei allem was ich mache sehr ambitioniert. Ein grosser
Vorteil für mich und die Sendung ist sicher, dass ich in der Szene sehr gut
verankert bin. Für mich war von Anfang an klar, dass ich das Nummer 1 HipHop-Format in
der Schweiz haben will. Da bin ich noch voll in diesem Rapper-Film. Die anderen
Formate & Journalisten sind für mich bisschen
auch Konkurrenten. Ich helfe zwar, sehe mich aber als grossen Bruder. Ich hatte
damals auch grössere Brüder und Schwestern
wie Jubaira, die mir geholfen haben. Es gibt auch andere, die ergänzend sind, aber
ich sehe die Sendung schon als Hauptformat in der Schweiz. Auch vom Standing
her ist es so, dass der Künstler selber als erstes zu „Joiz in the Hood“ kommen will. Da
gibt es auch viel Hate von Leuten, die dies nicht schaffen. Mir ist
gegenseitiger Respekt sehr wichtig. Ich bin zwar ein Alphatier, aber ich bin
auch sehr freundschaftlich. Ich bin bereit zu helfen und auch etwas
mitaufzubauen. Grundsätzlich bin ich sehr zufrieden, die Szene selber
sieht „Joiz in the Hood“ auch als ihre
Sendung, das macht auch etwas stolz. Es soll aber generell an dieser Stelle
auch noch nicht vorbei sein. Ich freue mich auf die Zukunft und sehe noch viele
Möglichkeiten.
Wortmaler: Wie erlebst du die Schweizer HipHop-Szene?
Ugur: Das ist eine schwierige Frage. Es läuft. Es gibt sehr
viele Releases und kleine gut organisierte Labels. Es ist eine Struktur
vorhanden und es gibt einige umtriebige und auch quirlige, geile Leute in der
Szene, die wissen wie es läuft. Einige
produzieren und vertreiben alles von A-Z selber. Einige Sachen, natürlicherweise die im
kommerziellen Bereich, sind mir zu wenig subversiv. Es hat zuwenig Leute, die
dies als subversive Kunstform oder Waffe nutzen. Ich freue mich vorallem wenn
junge Rapper hier einschlagen. Dass zum Beispiel ein Baze oder ein Tommy
Vercetti subversiv sind, wissen wir alle. Aber wir brauchen hier Nachwuchs. Daher
freue ich ich mich persönlich sehr über Acts wie Migo
oder Dawill aus Bern. Finde es aber auch sehr cool, wenn wir die Charts erobern
und Rap auf Mundart Gehör findet, ohne sich anzubiedern zu müssen.
Wortmaler: Gibt es aus deiner Sicht somit zuwenig Leute hier, die Rap
wie zu seinen Anfangszeiten als kritisches Sprachrohr der Gesellschaft nutzen?
Ugur: Ja. Und subversiv sind, in dem was sie machen. Die sich nicht
anbiedern und nicht überall mitmachen wollen. Es braucht Leute, die einen Fick geben. Wo
die Grundhaltung einfach ist „wir machen Rap-Musik und wir sagen was wir fühlen oder denken
ohne Kompromisse“. Auch „Joiz in the Hood“ ist so – auch wenn es in
einem kommerziellen Rahmen ist. Kompromisslos. Ich habe gesagt, die Sendung
kommt so daher, wie sie ist und sonst halt nicht. Ich verbiege mich da nicht.
Ich nehme auch kein Sponsoring an oder mache auch keine Moderation irgendwo
wenn ich es scheisse finde oder nicht hinter dem Brand oder der Veranstaltung
stehen kann. HipHop ist eine Kunstform
und eine Subkultur, die nicht von gewissen Unternehmen gekauft werden soll. Natürlich geschieht
dies, das ist mir klar. Die Jugend spricht ja teilweise auch drauf an. Das
pusht das Ganze auch auf ein anderes Level. Mehr Geld für geilere
Produktionen zum Beispiel. Aber es braucht unbedingt junge Rapper,
Veranstaltungen und TV/Radio-Sendungen die nicht abhängig sind und das
machen was sie wollen. Die radikal bleiben und keine Kompromisse eingehen. Das
fehlt mir ein bisschen.
Wortmaler: Wie siehst du allgemein die mediale Berichterstattung von
HipHop in der Schweiz?
Ugur: Auch das ist ein bisschen zwiespältig. Es gibt
verschiedene Leute, die aus der Musik gewachsen sind, die das schön abbilden können. So wie es eben
ist, weil sie selber ein Teil davon sind. Adrian Schräder vom Tagi zum
Beispiel, hört seit jeher Rap. Ich kenne ihn zwar persönlich nicht
wirklich gut, aber ich sehe was er macht. Pablo und Mauro von SRF Virus sind ja
auch aus der Szene. Die sind echt und wollen das fördern. Dann kommt
mir auch Merlo in den Sinn, der seit Jahren journalistisch wertvolle Arbeit für die Szene
leistet. Vielmehr kannst du in einem kleinen Land wie die Schweiz auch gar
nicht erwarten. Die grosse, kommerzielle Wahrnehmung oder wenn jeder Artikel so
mit „fernab von jeglichen HipHop-Klischees“ beginnt ist schon
schwieriger. HipHop ist etwas intelligentes, da braucht es Leute die Bescheid
wissen. Aber wie gesagt, wir sind doch ziemlich gut aufgestellt und können inzwischen
auch kontern, wenn jemand in den etablierten Medien gegen uns schiesst oder uns
verleugnet.
Wortmaler: Welche Eigenschaften findest du für einen Rapper am
wichtigsten?
Ugur: Am wichtigsten ist die Persönlichkeit und die Attitüde. Alle
technischen und sprachlichen Skills nützen nichts, wenn
du keinen geilen Charakter hast. Wenn du bei Flow, Delivery und Storytelling
vielleicht nur 7 von 10 Punkten auf einer Skala 1 -10 hast, du aber bei Persönlichkeit eine 10
hast, reicht dies um ein überdurchschnittlicher
Rapper zu sein. Aber natürlich: Wie ein
Rapper seine Stimme einsetzt, welche Atmosphäre er transportiert,
welche Flows und Reimschemen er dabei braucht, ob und wie stark er die passende
Sprache dafür benutzt, sind alles auch wichtige Merkmale, die
einen guten MC ausmachen.
Wortmaler: Du musst beruflich gesehen viel Musik hören und sie nachher
irgendwie einordnen. Empfindest du sie bei diesem Hören anders, als
wenn du sie privat hören würdest?
Ugur: Ich kenne meinen Musikgeschmack sehr gut. Ja, ich muss es anders
hören. Wenn ich Demos höre, brauche ich
etwa 30 Sekunden und dann kann ich sagen, ob es gut oder schlecht ist.
Objektiv. Dann bewerte ich es nach konkreten Punkten wie „ist er im Takt“ oder “ist es aufwendig
produziert“ und nach anderen technischen und atmosphärischen
Eigenschaften. Jeder der sich mit Musik auseinandersetzt spürt dies schnell.
Dann kannst du je nachdem weiter in die Tiefe gehen und schauen, ob dies dein
Publikum interessieren könnte. Privat weiss
ich ganz genau was mich interessiert und habe auch meine DJ-Kollegen, die mich
auf Sachen aufmerksam machen.
Wortmaler: Du warst selber als Rapper aktiv. Was hast du für Erinnerungen
daran?
Ugur: Ich war ja bei der Crew X-Chaibä und im Nachhinein
muss ich sagen, dass dieser Name wohl einer der beschissensten Crew-Namen in
der Schweizer Rap-Geschichte gewesen ist. Mit 13 Jahren, auf dem klassischen
Weg im Bandraum im Keller unten, haben wir begonnen zu rappen. Erste Konzert
folgten und wir haben dann Sektion Kuchikäschtli kennengelernt und waren dann in
diesem Bauers-Umfeld. Ich habe nur positive Erinnerungen an diese Zeit. Es war
eine vollgeile Zeit! Zusammen mit der Chlyklass waren wir eigentlich die Nummer
Eins – Crew in der Schweiz und haben sehr viele Konzerte gespielt. Ich habe
2, 3 Jahre nur von dem gelebt und war auch Back-Up von Gimma und Baze und hatte
dann auch noch ein Solo-Album gemacht. Wir haben doch bis zu 3, 4-tausend Platten pro Release
verkauft. Alles gute Jungs und echt nur positive Erinnerungen. Mit Breitbild
und Shpoiz habe ich heute noch Kontakt. Chlyklass war wie so unsere
Partner-Crew und mit Baze, Greis & Poul Prügu tausche ich mich
auch noch viel aus. Ich bereue auch nicht, den Weg den ich danach eingeschlagen
habe.
Wortmaler: Du bist mit 5 Jahren in die Schweiz gekommen – wie hast du die
Schweiz erlebt?
Ugur: So konkrete Erinnerungen an diese Zeit habe ich nicht mehr. Mein
Vater musste aus politischen Gründen aus Nordkurdistan flüchten. Ich habe
eine gute Sozialisation in der Schweiz genossen. Wir kamen mit dem Schiff, aber
nicht so auf diese Art wie dies aktuell vielfach der Fall ist. Für türkische Verhältnisse waren wir
nicht arm und konnten uns eine normale Ueberfahrt leisten. Via Italien kamen
wir dann über die grüne Grenze und meldeten uns gleich für Asyl an. Dann
wurden wir nach Rheineck, Kanton St. Gallen, eingeteilt. Daran habe ich
gemischte Erinnerungen. Für Schweizer Verhältnisse sind wir
dann arm aufgewachsen. Wir haben dann zu viert in einer 40 Quadratmeter-Wohnung
gelebt. Wir hatten einfach das Nötigste. Meine
Eltern waren und sind sehr liebevoll, das hat mir sehr geholfen. Es hätte alles ja auch
anders enden können. Ich bin in sehr einfachen Verhältnissen
aufgewachsen. Mit vielen Geldsorgen, Existenzängsten seitens
meinen Eltern, aber auch mit ganz viel Liebe.
Wortmaler: Du hast dich auch schon politisch engagiert. Welche Werte
sind dir da wichtig?
Ugur: Ich engagiere mich viel politisch und bin von meinem Vater auch
früh politisiert
worden. Ich bin für eine ausgewogene Einkommens – und Vermögenverteilung. Der
Reichtum muss gerechter verteilt werden. Ich stehe für jegliche Art von
Gleichberechtigung. Ich bin gegen jede Art von Rassismus und Unterdrückung. Ich bin dafür, dass jedes Volk,
jeder Mensch das Recht dazu hat seine Sprache und seine Kultur auszuleben. Ich
finde wir leben in einer sehr kranken Welt, in der der Reichtum und der Wohlstand
sehr ungerecht verteilt ist. Das Leben und dieser Planet sind ein riesiges
Wunder. Mich macht es wütend, dass nicht jeder Mensch Zugang zu Nahrung,
Bildung & Kultur hat. Die Politik sollte alles daran setzen, dass jeder
Mensch auf der Welt die Möglichkeit hat, das
Beste aus seinem Leben und seinen Fähigkeiten
herauszuholen. Aber mir ist vollkommen bewusst, dass das Wirtschaftssystem in
dem wir leben nicht darauf ausgerichtet ist, möglichst vielen
Menschen dies zu ermöglichen. Es ist ausbeuterisch, ungerecht und
profitorientiert.
Wortmaler: Welches sind deine Top 3 oder welche Musik hörst du im Moment
selber?
Ugur: Auf dem Weg jetzt gerade habe ich wieder mal Eldorado FM gehört. Finde ich
super. Geile Charaktere und geiler Sound. Das neue Chlyklass-Album ist auch
sehr geil. Typischer Chlyklass-Sound und Baze unterstreicht einmal mehr seine
Vorherrschaft im Game. Und da wäre noch Moskito mit
Luftloch. Ich finde Luzi einen der meistunterschätzten Rapper in der
Schweiz - aber ich glaube auch, dass seine Zeit noch kommen wird. Kleiner
Abstecher noch in die Dancehall-Welt. Da feiere ich im Moment noch Popcaan.
Und zum Schluss noch dies...
Ruthless Records oder Bad Boy Records?
Ruthless Records
Ruthless Records
Bob Marley oder James Brown?
Das ist schwierig. James Brown.
Das ist schwierig. James Brown.
Gleiszwei oder Sektion Kuchikäschtli?
Das ist eine sehr böse Frage. Gleis Kuchikäschtli.
Das ist eine sehr böse Frage. Gleis Kuchikäschtli.
Gülsha oder Julian?
Eindeutig Gülsha
Eindeutig Gülsha
Breakdance oder Graffiti?
Breakdance
Breakdance
Beatstreet oder Wildstyle?
Beatstreet
Beatstreet
Michael Jordan oder Muhammad Ali?
Muhammad Ali
Muhammad Ali
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