Montag, 11. Mai 2015

„HipHop ist etwas intelligentes, da braucht es Leute die Bescheid wissen“


Ugur Gültekin ist Moderator und Produzent bei Joiz. Und ex-Rapper. Im Interview spricht er über seine Sendung, über die Schweizer HipHop-Szene und seine politische Einstellung.

Wortmaler: Wir kennen dich als charismatischen Host von Joiz in the Hood. Wie ist die Sendung und das Konzept damals entstanden?

Ugur: Ich bin vor 4 Jahren zu Joiz gestossen, nachdem ich 2 Jahre bei MTV gearbeitet hatte. Ich begann als Online-Redaktionsleiter und schrieb immer wieder Sachen über Rap und HipHop mit Fokus auf die Schweizer Szene. Das gab allgemein eine gute Resonanz und auch viele Klicks. Dann kam die Idee das Ganze weiter auszubauen. Ein Blog oder eine Sendung zum Beispiel. Dann hiess es mach mal einen Pilot. Haben wir gemacht, das Format war aber noch ganz anders. Es war eine 30-minütige Sendung die nicht live war. Eine Art Magazin. Dann kam die Kritik, es sei zu HipHop, zu szenenspezifisch und auch zu stark an bereits bekannte, frühere HipHop-Sendungen angelehnt. Es sollte also weniger nerdig und offener gestaltet werden, was ich dann umgesetzt habe. Der Name Joiz in the Hood mit der Anspielung auf den Movie Boyz n the Hood blieb bestehen. Die Aufmachung, das Set mit der Sitzbank und die Rubriken habe ich dann ebenfalls angepasst. Joiz in the Hood ist mein Baby. Begleitet durch den ganzen Prozess hat mich die damalige Programmleiterin Elif Erisik, die mir viele Freiräume gewährte und der ich für ihre Unterstützung sehr dankbar bin.
 
Wortmaler: Pro Woche wird eine Folge à 60 Minuten ausgestrahlt. Wieviel Arbeit steckt effektiv dahinter?

Ugur: Als wir starteten war ich erstmal 2 Monate voll beschäftigt. Konzepte schreiben und Rubriken vorproduzieren, das Set organisieren und viele weitere Dinge. Zu 95% ist das Endprodukt, was du in der Sendung siehst, von mir. Inzwischen beläuft sich der Aufwand auf ca. 20 Stunden pro Woche. Nimmt aber immer mehr ab, weil ja auch immer mehr Routine reinkommt. Wenn Schweizer Rapper zu Gast sind, möchte ich auch nicht zu tief in eine Thematik verfallen. Soll nicht negativ klingen, aber es soll auch ein bisschen ein oberflächliches Magazin sein. Wichtig ist Wer bist du, Was machst du und Was hast gerade für einen Release. Ziel ist der grossen Masse diesen Künstler und diese Kultur näherzubringen. Wir haben ja bei Joiz noch andere Sendungen und Rubriken, wo wir dann längere Interviews realisieren. Da haben wir den Anspruch qualitativ hochstehende Interviews zu machen. Ich arbeite im Moment noch 100% bei Joiz. Für Joiz in the Hood gehen derzeit ca. 50% drauf inklusive Medienpartnerschaften, Anlässe und Marketing. Sonst leite ich andere Sendungen wie zum Beispiel ein- bis zweimal pro Woche Living Room oder die Sendung Homerun. So gestaltet sich in etwa meine Tätigkeit bei Joiz.

Wortmaler: In welcher Folge oder mit welchen Gästen hattest du am meisten Spass?

Ugur: Ich habe immer Spass wenn es auch Ernst wird und in die Tiefe geht. Wenn ich das Ganze durch meine Fragen und mein Setting mitgestalten kann. Die kreative und künstlerische Komponente ist mir wichtig. Zeitunglesen mit Kool Savas und Samy Deluxe war grossartig. Geil war auch als ich Dilated Peoples Schweizer Rap vorgespielt habe und sie haben es bewertet. Sonst ist mir noch die Sendung mit Tommy Vercetti und Dezmond Dez präsent, als sich Knackeboul reingeskypt hat. Da konnte man wirklich fühlen, dass sie sich nicht mögen. Es war nicht unbedingt was persönliches, sie hatten einfach verschiedene Ansichten wie man als Künstler mit der Kunst umgehen sollte. Ich habe begrüsst, dass diese Diskussion angezettelt wurde. Da war Feuer in der Sendung. Was ich eher langweilig finde ist, wenn jemand ausschliesslich nur so diese Promo-Schiene abwickelt. Das kommt aber natürlich vor und ist wie gesagt auch Teil vom Konzept. Die längeren Ausseninterviews von EKR und Skor waren auch grossartig. Da kam das Feedback so wow, ich habe den noch nie so gesehen und ich konnte Facetten aufzeigen, die dem einen oder anderen neu waren. Mir ist auch wichtig, dass die Aesthetik dann schön ist. Dass der Beitrag auch optisch gut produziert ist. 

Wortmaler: Was kannst du generell nach 73 Folgen für ein Fazit ziehen?

Ugur: Ich bin bei allem was ich mache sehr ambitioniert. Ein grosser Vorteil für mich und die Sendung ist sicher, dass ich in der Szene sehr gut verankert bin. Für mich war von Anfang an klar, dass ich das Nummer 1 HipHop-Format in der Schweiz haben will. Da bin ich noch voll in diesem Rapper-Film. Die anderen Formate & Journalisten sind für mich bisschen auch Konkurrenten. Ich helfe zwar, sehe mich aber als grossen Bruder. Ich hatte damals auch grössere Brüder und Schwestern wie Jubaira, die mir geholfen haben. Es gibt auch andere, die ergänzend sind, aber ich sehe die Sendung schon als Hauptformat in der Schweiz. Auch vom Standing her ist es so, dass der Künstler selber als erstes zu Joiz in the Hood kommen will. Da gibt es auch viel Hate von Leuten, die dies nicht schaffen. Mir ist gegenseitiger Respekt sehr wichtig. Ich bin zwar ein Alphatier, aber ich bin auch sehr freundschaftlich. Ich bin bereit zu helfen und auch etwas mitaufzubauen. Grundsätzlich bin ich sehr zufrieden, die Szene selber sieht Joiz in the Hood auch als ihre Sendung, das macht auch etwas stolz. Es soll aber generell an dieser Stelle auch noch nicht vorbei sein. Ich freue mich auf die Zukunft und sehe noch viele Möglichkeiten. 

Wortmaler: Wie erlebst du die Schweizer HipHop-Szene?

Ugur: Das ist eine schwierige Frage. Es läuft. Es gibt sehr viele Releases und kleine gut organisierte Labels. Es ist eine Struktur vorhanden und es gibt einige umtriebige und auch quirlige, geile Leute in der Szene, die wissen wie es läuft. Einige produzieren und vertreiben alles von A-Z selber. Einige Sachen, natürlicherweise die im kommerziellen Bereich, sind mir zu wenig subversiv. Es hat zuwenig Leute, die dies als subversive Kunstform oder Waffe nutzen. Ich freue mich vorallem wenn junge Rapper hier einschlagen. Dass zum Beispiel ein Baze oder ein Tommy Vercetti subversiv sind, wissen wir alle. Aber wir brauchen hier Nachwuchs. Daher freue ich ich mich persönlich sehr über Acts wie Migo oder Dawill aus Bern. Finde es aber auch sehr cool, wenn wir die Charts erobern und Rap auf Mundart Gehör findet, ohne sich anzubiedern zu müssen.

Wortmaler: Gibt es aus deiner Sicht somit zuwenig Leute hier, die Rap wie zu seinen Anfangszeiten als kritisches Sprachrohr der Gesellschaft nutzen?

Ugur: Ja. Und subversiv sind, in dem was sie machen. Die sich nicht anbiedern und nicht überall mitmachen wollen. Es braucht Leute, die einen Fick geben. Wo die Grundhaltung einfach ist wir machen Rap-Musik und wir sagen was wir fühlen oder denken ohne Kompromisse. Auch Joiz in the Hood ist so auch wenn es in einem kommerziellen Rahmen ist. Kompromisslos. Ich habe gesagt, die Sendung kommt so daher, wie sie ist und sonst halt nicht. Ich verbiege mich da nicht. Ich nehme auch kein Sponsoring an oder mache auch keine Moderation irgendwo wenn ich es scheisse finde oder nicht hinter dem Brand oder der Veranstaltung stehen kann.  HipHop ist eine Kunstform und eine Subkultur, die nicht von gewissen Unternehmen gekauft werden soll. Natürlich geschieht dies, das ist mir klar. Die Jugend spricht ja teilweise auch drauf an. Das pusht das Ganze auch auf ein anderes Level. Mehr Geld für geilere Produktionen zum Beispiel. Aber es braucht unbedingt junge Rapper, Veranstaltungen und TV/Radio-Sendungen die nicht abhängig sind und das machen was sie wollen. Die radikal bleiben und keine Kompromisse eingehen. Das fehlt mir ein bisschen.

Wortmaler: Wie siehst du allgemein die mediale Berichterstattung von HipHop in der Schweiz?
Ugur: Auch das ist ein bisschen zwiespältig. Es gibt verschiedene Leute, die aus der Musik gewachsen sind, die das schön abbilden können. So wie es eben ist, weil sie selber ein Teil davon sind. Adrian Schräder vom Tagi zum Beispiel, hört seit jeher Rap. Ich kenne ihn zwar persönlich nicht wirklich gut, aber ich sehe was er macht. Pablo und Mauro von SRF Virus sind ja auch aus der Szene. Die sind echt und wollen das fördern. Dann kommt mir auch Merlo in den Sinn, der seit Jahren journalistisch wertvolle Arbeit für die Szene leistet. Vielmehr kannst du in einem kleinen Land wie die Schweiz auch gar nicht erwarten. Die grosse, kommerzielle Wahrnehmung oder wenn jeder Artikel so mit fernab von jeglichen HipHop-Klischees beginnt ist schon schwieriger. HipHop ist etwas intelligentes, da braucht es Leute die Bescheid wissen. Aber wie gesagt, wir sind doch ziemlich gut aufgestellt und können inzwischen auch kontern, wenn jemand in den etablierten Medien gegen uns schiesst oder uns verleugnet.

Wortmaler: Welche Eigenschaften findest du für einen Rapper am wichtigsten?

Ugur: Am wichtigsten ist die Persönlichkeit und die Attitüde. Alle technischen und sprachlichen Skills nützen nichts, wenn du keinen geilen Charakter hast. Wenn du bei Flow, Delivery und Storytelling vielleicht nur 7 von 10 Punkten auf einer Skala 1 -10 hast, du aber bei Persönlichkeit eine 10 hast, reicht dies um ein überdurchschnittlicher Rapper zu sein. Aber natürlich: Wie ein Rapper seine Stimme einsetzt, welche Atmosphäre er transportiert, welche Flows und Reimschemen er dabei braucht, ob und wie stark er die passende Sprache dafür benutzt, sind alles auch wichtige Merkmale, die einen guten MC ausmachen.

Wortmaler: Du musst beruflich gesehen viel Musik hören und sie nachher irgendwie einordnen. Empfindest du sie bei diesem Hören anders, als wenn du sie privat hören würdest?

Ugur: Ich kenne meinen Musikgeschmack sehr gut. Ja, ich muss es anders hören. Wenn ich Demos höre, brauche ich etwa 30 Sekunden und dann kann ich sagen, ob es gut oder schlecht ist. Objektiv. Dann bewerte ich es nach konkreten Punkten wie ist er im Takt oder ist es aufwendig produziert und nach anderen technischen und atmosphärischen Eigenschaften. Jeder der sich mit Musik auseinandersetzt spürt dies schnell. Dann kannst du je nachdem weiter in die Tiefe gehen und schauen, ob dies dein Publikum interessieren könnte. Privat weiss ich ganz genau was mich interessiert und habe auch meine DJ-Kollegen, die mich auf Sachen aufmerksam machen. 

Wortmaler: Du warst selber als Rapper aktiv. Was hast du für Erinnerungen daran?

Ugur: Ich war ja bei der Crew X-Chaibä und im Nachhinein muss ich sagen, dass dieser Name wohl einer der beschissensten Crew-Namen in der Schweizer Rap-Geschichte gewesen ist. Mit 13 Jahren, auf dem klassischen Weg im Bandraum im Keller unten, haben wir begonnen zu rappen. Erste Konzert folgten und wir haben dann Sektion Kuchikäschtli kennengelernt und waren dann in diesem Bauers-Umfeld. Ich habe nur positive Erinnerungen an diese Zeit. Es war eine vollgeile Zeit! Zusammen mit der Chlyklass waren wir eigentlich die Nummer Eins Crew in der Schweiz und haben sehr viele Konzerte gespielt. Ich habe 2, 3 Jahre nur von dem gelebt und war auch Back-Up von Gimma und Baze und hatte dann auch noch ein Solo-Album gemacht. Wir haben doch  bis zu 3, 4-tausend Platten pro Release verkauft. Alles gute Jungs und echt nur positive Erinnerungen. Mit Breitbild und Shpoiz habe ich heute noch Kontakt. Chlyklass war wie so unsere Partner-Crew und mit Baze, Greis & Poul Prügu tausche ich mich auch noch viel aus. Ich bereue auch nicht, den Weg den ich danach eingeschlagen habe.

Wortmaler: Du bist mit 5 Jahren in die Schweiz gekommen wie hast du die Schweiz erlebt?
Ugur: So konkrete Erinnerungen an diese Zeit habe ich nicht mehr. Mein Vater musste aus politischen Gründen aus Nordkurdistan flüchten. Ich habe eine gute Sozialisation in der Schweiz genossen. Wir kamen mit dem Schiff, aber nicht so auf diese Art wie dies aktuell vielfach der Fall ist. Für türkische Verhältnisse waren wir nicht arm und konnten uns eine normale Ueberfahrt leisten. Via Italien kamen wir dann über die grüne Grenze und meldeten uns gleich für Asyl an. Dann wurden wir nach Rheineck, Kanton St. Gallen, eingeteilt. Daran habe ich gemischte Erinnerungen. Für Schweizer Verhältnisse sind wir dann arm aufgewachsen. Wir haben dann zu viert in einer 40 Quadratmeter-Wohnung gelebt. Wir hatten einfach das Nötigste. Meine Eltern waren und sind sehr liebevoll, das hat mir sehr geholfen. Es hätte alles ja auch anders enden können. Ich bin in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Mit vielen Geldsorgen, Existenzängsten seitens meinen Eltern, aber auch mit ganz viel Liebe.
 
Wortmaler: Du hast dich auch schon politisch engagiert. Welche Werte sind dir da wichtig?

Ugur: Ich engagiere mich viel politisch und bin von meinem Vater auch früh politisiert worden. Ich bin für eine ausgewogene Einkommens und Vermögenverteilung. Der Reichtum muss gerechter verteilt werden. Ich stehe für jegliche Art von Gleichberechtigung. Ich bin gegen jede Art von Rassismus und Unterdrückung. Ich bin dafür, dass jedes Volk, jeder Mensch das Recht dazu hat seine Sprache und seine Kultur auszuleben. Ich finde wir leben in einer sehr kranken Welt, in der der Reichtum und der Wohlstand sehr ungerecht verteilt ist. Das Leben und dieser Planet sind ein riesiges Wunder. Mich macht es wütend, dass nicht jeder Mensch Zugang zu Nahrung, Bildung & Kultur hat. Die Politik sollte alles daran setzen, dass jeder Mensch auf der Welt die Möglichkeit hat, das Beste aus seinem Leben und seinen Fähigkeiten herauszuholen. Aber mir ist vollkommen bewusst, dass das Wirtschaftssystem in dem wir leben nicht darauf ausgerichtet ist, möglichst vielen Menschen dies zu ermöglichen. Es ist ausbeuterisch, ungerecht und profitorientiert.
 
Wortmaler: Welches sind deine Top 3 oder welche Musik hörst du im Moment selber?

Ugur: Auf dem Weg jetzt gerade habe ich wieder mal Eldorado FM gehört. Finde ich super. Geile Charaktere und geiler Sound. Das neue Chlyklass-Album ist auch sehr geil. Typischer Chlyklass-Sound und Baze unterstreicht einmal mehr seine Vorherrschaft im Game. Und da wäre noch Moskito mit Luftloch. Ich finde Luzi einen der meistunterschätzten Rapper in der Schweiz - aber ich glaube auch, dass seine Zeit noch kommen wird. Kleiner Abstecher noch in die Dancehall-Welt. Da feiere ich im Moment noch Popcaan.

Und zum Schluss noch dies...

Ruthless Records oder Bad Boy Records?
Ruthless Records
Bob Marley oder James Brown?
Das ist schwierig. James Brown.
Gleiszwei oder Sektion Kuchikäschtli?
Das ist eine sehr böse Frage. Gleis Kuchikäschtli.
Gülsha oder Julian?
Eindeutig Gülsha
Breakdance oder Graffiti?
Breakdance
Beatstreet oder Wildstyle?
Beatstreet
Michael Jordan oder Muhammad Ali?
Muhammad Ali

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