Dienstag, 7. April 2015

„Der Ursprung dieser Platte ist ein krasses Generation Y Problem“



Der Luzerner Rapper Emm veröffentlicht am 17. April sein neues Album. Im Interview spricht er über Unterhaltung, seinen Status als Rapper und erklärt warum sich HipHop hierzulande positiv entwickelt hat.

Wortmaler: Dein neues Album „Thank God It’s Mondayist auf dem Tisch. Was ist das Beste das nun passieren kann?

Emm: Dass es auf die Eins geht. Dass es gut ankommt. Aber ja, ich habe zwar etwas Mühe dies zu sagen, aber es soll sich auch etwas verkaufen.

Wortmaler: Auf dem Album geht es um’s Erwachsenwerden, um Zweisamkeit und auch um Fernweh. Das Ganze kommt sehr authentisch rüber. Kamen diese Themen quasi wie automatisch auf dich zu?

Emm: Da muss ich etwas ausholen. Der Ursprung dieser Platte ist ein krasses Generation Y Problem. Ich habe eine Wahrnehmung von mir und meinem Umfeld, dass dir eigentlich immer gesagt wurde, du musst das und dies machen und dann bekommst du viel zurück. Zwischen der Generation von uns und unseren Eltern besteht ein Unterschied in der Wahrnehmung was zurückkommt. Für sie war es so, du bekommst dann einen guten Job und Sicherheit zurück. Das war für sie gleichbedeutend mit Glück. Wir bekommen das alles, haben aber auch irgendwie damit gerechnet. Das wurde uns ja gesagt: A + B ergibt dann nachher eben dies im Ergebnis. Du erreichst dann einen Punkt, und wenn du die Welt realistisch betrachtest, merkst du, ich habe das und das erreicht, ich bin sehr privilegiert, nüchtern betrachtet hast du es hundert Mal besser als die meisten auf diesem Planeten. In deiner Wahrnehmung ist das aber vielleicht nicht absolutes Glück, damit hast du ja gerechnet, Sicherheit ist nicht Glück, sondern fast schon normal. Da kommt diese Suche nach Excitement. Da kommt dieser Abhau-Reflex. Es ist so unedgy, du bist 30 Jahre in deinem Büro und wirst älter.

Wortmaler: Du willst ausbrechen aus dem Ganzen.

Emm: Genau. Abhauen ist begründet durch das Leben, dass gestreamlined ist, wo du das Gefühl hast, das Leben soll jetzt wieder aufregender werden. Jetzt muss etwas kommen, wo nicht bereits schon jedes Kapitel vorgeschrieben ist. Die ungewisse Komponente. Das Album hätte fast „Escapism“ geheissen. Witzigerweise ist aber immer ein Rückflug-Ticket dabei. Es kommt aus einer gesetzten, höheren und finanziell sicheren Basis. „Hans im Schneckenloch“-mässig vermisst du dann eben was noch fehlt. Vermisse ich bis zu einem bestimmten Punkt eine Beziehung? Ja, auf jeden Fall. Vermisse ich Excitement? Ja, auf jeden Fall. Mit 22 konnte ich mich jedes Wochenende wegrohren und habe alles interessant gefunden. Heute bin ich viel seltener draussen, viel seltener betrunken und finde es wenn, dann auch nicht mehr so wahnsinnig unterhaltsam. Ja, das sind erwachsene Themen und du kommst so an diesen „What’s Now“-Punkt. Um den Bogen zurückzuspannen auf deine Frage: Ja, diese Themen kommen natürlich. Das musst du dir nicht wahnsinnig überlegen. Da wächst du rein. Du kennst es vom DJ’ing her ja auch selber, am Anfang findest du es extrem cool aufzulegen, du kriegst ein Lächeln vom weiblichen Geschlecht, merkst aber mit der Zeit auch, dass vieles nur oberflächlich ist. Ich empfinde mein eigenes Leben als höchst substanzlos, das ist das Stichwort, dass ich immer verwende. Unter der Woche mache ich diesen „New York Corporate was auch immer“ – Boy und am Wochenende mache ich entweder den „New York also jetzt grad aber nomal voll durezieh“ oder ziehe mich einen Schritt zurück und schaue es als meaningless insgesamt an. Heisst aber nicht, dass ich unglücklich bin! Es gibt einfach keinen grösseren Ueberbau, ich habe einfach kein Ziel, kein Konzept, von dem ich sagen kann, okay, darum bin ich hier, dem und dem Zweck dient das alles also. Und dann kommen halt all diese Fragen. Lässt sich Liebe ewig verschieben? Bist du zu wählerisch? Was tust du hier? Wär’s anderswo besser? Nicht nur Punkto Liebe, bezüglich allem. Alle diese Themen kommen automatisch auf den Tisch. Kackmusikk ist genau gleich alt wie ich, darum fühlt er sich da eben auch abgeholt.

Wortmaler: Ein Track der mir, auch aufgrund von seiner Struktur, sehr positiv aufgefallen ist, ist „Lucky Luke“. Dort gibt’s die Zeile “Ich bis leid da, immer nume Fokus, dis Härz schlat, gsesch Tod us“. Ist dies auch eine Art Plädoyer an die Multitasking-Gesellschaft sich wieder mehr Zeit für’s Wesentliche zu nehmen?

Emm: Ich glaube unser Leben hat sehr viel mit der ersten Welt und mit dem Kapitalismus zu tun. Es gehorcht diesem System, diesen Regeln. Diese nehmen dir bis zu einem bestimmten Punkt, die Chance speziell, individuell und unberechenbar zu sein. Du vegetierst und gehst dann am Morgen erstmal in den Pendlerzug. Die Leute funktionieren. Ich sage nicht grundsätzlich dass dies scheisse ist. Aber es ist auch nicht Happiness. Du bist im Film drin. Ich weiss nicht, ob es eine Multitasking-Frage ist, aber es ist sicher eine „die Leute sind nur zu 80% bei sich“ – Frage. Das auf jeden Fall.

Wortmaler: Welche Eigenschaften findest du für einen Rapper am wichtigsten?

Emm: Das Resultat der Gleichung ist immer: Wie hoch ist der Entertainment-Faktor. Ich persönlich kann auf viele Arten unterhalten werden. Solange es in sich selber Substanz hat. Es gibt MC’s die feiere ich nur für deren Präsenz. Rick Ross ist da vollgeil. Wacka Flocka Flame ist auch unterhaltsam. Von der lyrischen Perspektive gesehen geht es bei Rick Ross noch. Wacka ist da sicher uninteressant.

Wortmaler: Ja, sagen wir mal überschaubar.

Emm: Limitiert. Am besten kann man es fast anhand von deutschem Rap aufzeigen. Ich habe das letzte Casper-Album, das ja nicht mehr so richtig Rap war, massiv gefeiert. Von der ersten bis zur letzten Sekunde ist das einfach grossartig. „Im Ascheregen“ war ja Weltklasse. Letztes Jahr am meisten habe ich mir aber Shindy angehört. Völlig anderer Style. Er kommt cool und arrogant daher. Das feiere ich mega. Hafti fand ich auch geil, sehr aggro. Witzigerweise weniger gefeiert habe ich das Marteria-Album. Obwohl ich ihn als Künstler super finde. Nach den beiden Singles wird es so alltäglich. Das gibt mir nicht zusätzliches.

Wortmaler: Fehlt dir da der Ueberraschungs-Effekt?

Emm: Ja, voll. Damit kämpfe ich selber ja auch. Da versuchten wir aktuell Lösungen zu finden. Casper versucht immer in einem Satz, die ganze Welt zu erklären. Manchmal funktioniert es und manchmal eben nicht. Aber die Ansage ist voller Pathos. Das Bild von diesem Kid, das irgendwo aus der Provinz, aus dem Nichts, auftaucht und dieses Gebilde erklärt, ist für mich mega inspirierend. Bei Marteria ist eher das Gegenteil der Fall. Er hat eine gewisse Blumentopf-Attitude. So dieses „ich rappe darüber wie ich im Tram bin und dann steigt jemand ein und ich unterhalte mich mit ihm“. Alles nice gemacht, keine Frage. Er ist ja auch ein guter Künstler. Aber als Thema interessiert mich das dann weniger. Wir haben uns zum Album auch viele Gedanken gemacht. Wenn wir etwas nicht wollten, dann war es Langeweile. Wir wollten kein Spiesser-Album machen. Die Edginess kommt dann halt wie man es sagt und wie man es beschreibt. Viele fühlen sich abgeholt und jeder ü25 kann das nachvollziehen. Allzu kopflastig darf es dann aber auch wieder nicht sein. Es ist immer noch Musik. Alles andere ist für Vorlesungen.

Wortmaler: Die Beats von Kackmusikk haben sehr viel positive Energie, viel Druck und einen coolen, globalen Touch. Vorallem aber heben sie sich deutlich von dem ab, was man sonst in der Mundart Rap-Szene zu hören bekommt. Wie bewertest du seinen Soundteppich?

Emm: Von einer Skala von 1 bis 10 gebe ich da eine entspannte 19. Der Typ ist übertrieben gifted. Abartig, wirklich. Was sich bei ihm positiv auswirkt, ist das er eben nicht aus dieser Ecke kommt. Er feiert zwar Rap mega, aber die letzten Jahre hat er Electronica produziert. Er weiss wie ein Beat tönen muss, dass du tanzen kannst. Er weiss eben wie er die Drums setzen muss. Zudem kann er trotzdem noch einen Sample flippen. Das ist auch der grosse Unterschied. Das Ganze kommt eben nicht von irgendwelchen Regeln, die in der Szene ungeschriebenermassen grassieren. Bei vielen anderen Produzenten habe ich vieles bereits mehrmals gehört. Bei Kackmusikk habe ich nie etwas schon einmal gehört. Bei „Armageddon“ im zweiten Teil der Hook, wo er diesen Kick setzt, als wäre es Techno. Greis und ich waren im Studio und hatten den fertigen Beat noch nicht gehört und dachten so „woooah“. Das ist einfach eine andere Herangehendweise, keine „Hip Hop – Herangehensweise“. Das ist das Wichtigste. Wir haben uns für dieses Album diesbezüglich noch recht zurückgenommen.

Wortmaler: Wenn man sich durch das Album hört, stellt man fest, dass Text und Beat eine echte Einheit ergeben. Wie findet ihr zusammen im Studio dieses stimmige Gesamtbild?

Emm: Ich persönlich glaube, dass ich als MC in diesem Land mega underrated bin. Ich glaube dass ich extrem gut bin, in dem was ich mache. Das meine ich todernst. Ich sehe mich easy als Top 10 Rapper in der Schweiz. Dazu kommen die Beats von Kackmusikk, die ein Spektrum bedienen, in dem ich mich grundsätzlich wohl fühle. Für „TGIM“ haben wir 16 Beats produziert. 14 davon habe ich gepickt. Diese Quote ist massiv. Auch weil wir uns vorher überlegt haben, wie es tönen soll. Wir hatten einen Plan in welche Richtung es gehen sollte. Zudem wollten wir auch Featurings die das Album bereichern. Wichtig war da auch, seine Schwächen zu kennen und diese dann eben nicht zu bedienen. Dass muss man sich auch eingestehen und dann dort eben nicht selber hingehen und ein Feature das übernehmen lassen. Ich glaube aber, ich bin in der Musik selber erwachsener geworden.  Früher brauchte ich auch mehr Anerkennung, aber heute gibt es kaum mehr jemanden, dessen Feedback mir da soviel bedeutet, kein „Vorbild“ oder so, auch wenn mich ein Feedback wie das von Greis natürlich freut. Das Ganze ist auch ein Prozess: Kackmusikk und ich hatten vorher Gratis-EP’s gemacht und so festgestellt was geht oder was nicht. Da haben wir daraus gelernt.

Wortmaler: Hat dein Job Einfluss auf dein künstlerisches Schaffen?

Emm: Ich versuche ihn möglichst gering zu halten. Es bedient auch völlig die andere Hirnhälfte. Aber es hat einen riesigen Einfluss. Aber mehr organisatorisch. Mein Job bringt mir bei genau das zu machen und abzuarbeiten was nötig ist. Natürlich gibt es mir Einblick in eine Welt, von der ich berichten kann. Ich berichte aber nicht direkt davon, sondern mehr aus der Essenz davon. Von dem her könnte es auch ein anderer Job sein.

Wortmaler: Wie sah dein erster Kontakt mit Rap aus?

Emm: Unser Nachbar, der müsste jetzt so um die 39 Jahre alt sein, hat früher manchmal auf meinen Bruder und mich aufgepasst. Er gab mir die LL Cool J – Platte „I Can’t Live Without My Radio”. Und ich hatte keine Ahnung davon, dachte aber „cool mein älterer Nachbar hört es“. Mein erstes Vinyl, dass ich dann selber gekauft habe, war „Tougher Than Leader „ von RUN DMC. Ich hatte dann aber auch Nirvana gefeiert. Ich habe da immer solche Musik gehört, die ich bei meinen Eltern nicht im Auto hören konnte. Nicht weil sie was dagegen hatten, sondern weil es von 4 Personen dann halt nur eine geil gefunden hatte. Kein rebellisches Bewusstsein aber, in diesem Sinne.

Wortmaler: Du bist seit 11 Jahren Teil der CH-Rap Szene. Wie hat sich die Szene entwickelt?

Emm: Letzten Endes sehr positiv. Da ist auch eine Entwicklung, genau gleich wie in Deutschland, einfach mit ein paar Jahren Vorsprung. Anfänglich imitierte man Amerikaner ohne dass man diese sein wollte. Sehr viel Imitation ohne die Rolle zu imitieren. Zu willst tönen wie ein Ami, aber du traust nicht über diese AK-47 zu rappen. In Deutschland ist das auch ganz krass. Das Selbstbewusstsein nach ein paar Jahren, etwas abtasten und ein bisschen Studi-Rap, haben die dann gefunden. Inzwischen ist man noch einen Schritt weiter. Du machst sowieso, was du willst. Hafti oder Bushido ist ganz klar Gangster- Rap, aber es hat nichts zu tun mit einem schwarzen Film. Es ist ein völlig anderes Programm. Wenn die Typen einfahren und irgendwie noch „Free Palastine“ schreien, ist das ganz ein anderes Thema. Sie sprechen so, wie sie bei sich im Ghetto reden. Die kopieren keinen Slang von drüben. Hafti, sprachlich gesehen, hat nichts mit Amerika zu tun. Er disst ja auch viele Amerikaner. „Ich erschiess diesen Swizz Beatz“. Früher hätte es geheissen „Woah, du vergleichst dich mit denen?“. Heute ist der Vibe eher so „Was vergleichen? Ich bin zehnmal besser!“ In der Schweiz gehen wir an einen ähnlichen Punkt. Abgesehen von poppigen Produktionen, wie vielleicht Lo&Leduc, die ich extrem geil finde als Produkt und Konzept, aber die vielleicht nicht so sinnbildlich sind für diese Szene, merkt man das, wenn man Eldorado FM oder Mimiks hört. Die Selbstwahrnehmung der Leute ist viel besser, du guckst dir die Amis an, aber du übersetzt dies völlig in deine eigene Sprache. Natürlich ist es Inspiration. Einen Lil Wayne – Flow bitet niemand mehr. Vielleicht nimmst du Elemente daraus. Es ist völlig eigenständig geworden, das ist positiv.

Wortmaler: Welcher Moment hat dich am meisten geprägt?

Emm: Da gab es zwei Momente. Das Album „Wallstreet“ mit Hands Solo, der immer noch einer meiner engsten Freunde ist. Im Nachhinein finde ich jedoch, dass wir es etwas zu real gekeept haben. Das war aber natürlich, mit diesem Disco-Sound, auch ein anderes Konzept. Da waren wir vielleicht zu konzeptreu. Der andere Moment ist jetzt. Ich war noch nie so handschellenlos  wie jetzt. Ich kann mich auch so anziehen wie ich will. Dieser „New Era – Imitierschwachsinn“ von früher braucht ja kein Mensch. Das kommt mir irgendwie näher. Das hat auch viel mit Kackmusikk zu tun. Er hört einfach einen Song. Entweder er findet ihn cool oder nicht. Und es heisst dann nicht, dass ist Rap oder nicht Rap. Es „ist“ einfach. Diese Neutralität finde ich gut. Auch dass die Leute dies fühlen. Sie haben nicht das Gefühl „Hey, der sagt jetzt das einfach für diese Platte oder für dieses Konzept“. Das ist prägend.

Wortmaler: Luzern hat seit Anfang der Neunziger-Jahre eine grosse und aktive HipHop-Szene. Wie erlebst du deine Stadt?

Emm: Das ganze 041-Ding erlebe ich sowohl rapseitig als auch zwischenmenschlich als enorm bereichernd. Rap ist ja nicht nur das einzige Thema, die Leute machen alle auch sonst noch etwas. Und dann lassen die einen Sechzehner vom Stapel und du denkst nur „Jesus, wie hast du das gemacht?“ Die Antwort ist dann kleinlaut: „Oh eh, ja, habe es einfach schnell aufgenommen.“ Sehr entspannt das Ganze. Trotzdem sehr kompetitiv und ehrgeizig. In dieser Truppe wird alle zwei Monate etwas veröffentlicht. Da kannst du nicht stehenbleiben. So nehme ich dies wahr. Von früher habe ich auch noch einen losen Kontakt mit Steven Egal. Es gab auch eine Zeit wo Luzern, hiphoptechnisch gesehen, gedarbt hat. Nicht weil es schlecht war, aber es war nicht auf dem Radar von „Rock City“. Die Kanäle versagten und die Musik kam auch nicht in’s Radio. Es gab wie zuwenig Raum dafür. Das hat sich nun aber geändert. Das ist die musikalische Seite. Sonst ist es Luzern halt, Fluch und Segen: Langsam, provinziell, gemütlich. Das ist positiv und negativ zugleich. Da kommt ja auch dieser Abhau-Gedanke wieder in’s Spiel. Die grossen Städte wie zum Beispiel London spielen halt einfach in einer anderen Liga. Aber es ist so, wie ist.

Wortmaler: Was sind deine Top 3 - Tracks oder was hörst du im Moment selber?

Emm: Eldorado FM mit „Monica Bellucci“. Auch „Erst Zug“ ist sehr geil gemacht. „Jung verdammt“ habe ich auch viel gehört. „Sterne“ von Shindy und Bushido habe ich wieder hervorgekramt, ist einfach krass. Und da wäre noch Partynextdoor mit „Recognize“.

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